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BAP - Kristallnaach

Et kuett vueuer, dat ich mein, dat jet klirrt,
dat sich irjendjet en mich verirrt,
e Jeraeusch, nit ens laut
manchmol klirrt et vertraut
selden su, dat mer't direk durchschaut
Mer weed wach, rief die Aure un sieht
en'nem Bild zweschem Brueghel un Bosch
kei Minsch, dae oem Sirene jet jitt
weil Entwarnung nur half su vell koss
et'ruesch noch Kristallnaach

En der Ruhe vuer'm Sturm, wat ess dat?
Jans klammheimlich verloeoess wer die Stadt.
Honratioren incognito
hasten vorbei,
offiziell sinn die nit jaehn dobei,
wenn dir volksseele - alzeit bereit
Richtung Siedepunkt wuetet un schreit
"Heil - Halali" un grenzenlos geil
noh Vergeltung bruelt, zitternd vor Neid
in der Kristallnaach

Doch die alles wat anders ess stuehrt,
die mem Strom schwemme, wie't sich jehuehrt,
fuer die Schwule Verbrecher sinn,
Auslaender Aussatz sinn
bruechen wer, der se verfuert.
Un dann rettet kein Kavallerie,
keine Zorro koemmert sich dodroemm.
Dae piss hoechsens e "Z" en der Schnie
un faellt lallend vueuer Laessigkeit oem:
"Na un? - Kristallnaach!"

En der Kirch met dae Franz Kafka-Uhr,
ohne Zeiger, met Striche drop nur
liesst ne Blinde nem Taube
Strubbelpeter vueuer
hinger dreifach verriejelter Dueuer
Un dae Waechter 'mem Schluesselbund haellt
sich em Aehnz fuer jet wie e Jenie,
weil'er Auswege pulverisiert
un verkaeuft jaejen Klaustrophobie
en der Kristallnaach.

Waerenddessen, am Maatplatz vielleich,
unmaskiert, hueck mem wohre Jesseech
sammelt Stein, schlief et Mezz
op die, die schon verpezz
probt dae Lynch-Mob fue't Juengste Jereech.
Un zem laade nur fluechtig vertaeut
- die Galeeren stonn laengs unger Dampf -
weet em hafen op Sklaven jewaat,
op dae Schrott uss daemm ungleiche Kampf
uss der Kristallnaach

Do, wo Darwin fuer alles herhaellt,
ob mer Minsche verdriev oder quaelt,
do, wo hinger Macht Jeld ess,
wo stark sinn die Welt ess,
von Kusche un Strammstonn entstellt
Wo mer Hymnen on Kann sujar bloeoess,
en babarischer Gier noh Profit
'Hosianna' un 'Kreuzigt ihn' roeoef,
wemmer irjend ne Vorteil drinn sieht
ess taeglich Kristallnaach

BAP - Kristallnacht

Es kommt vor, dass ich meine, dass etwas klirrt,
dass sich irgendwas in mir verirrt,
Ein Geräusch, nicht einmal laut,
manchmal klirrt es vertraut,
selten so, dass man's direkt durchschaut.
Man wird wach, reibt sich die Augen und sieht
in einem Bild zwischen Breughel und Bosch
keinen Menschen, der um Sirenen was gibt
weil Entwarnung nur halb soviel kostet.
Es riecht nach Kristallnacht.

In der Ruhe vorm Sturm - was ist das?
Ganz klammheimlich verlässt einer die Stadt.
Honoratioren incognito
hasten vorbei,
offiziell sind die nicht gern dabei
Wenn die Volksseele - allzeit bereit -
Richtung Siedepunkt wütet und schreit
"Heil - Halali" und grenzenlos geil
nach Vergeltung brüllt, zitternd vor Neid
in der Kristallnacht.

Doch diejenigen, die alles, was anders ist, stört,
die mit dem Strom schwimmen, wie es sich gehört,
für die Schwule Verbrecher sind,
Ausländer Aussatz sind,
brauchen einen, der sie verführt.
Und dann rettet keine Kavallerie,
kein Zorro kümmert sich dadrum.
Der pisst höchstens ein Z in den Schnee
und fällt lallend vor Lässigkeit um:
"Na und? - Kristallnacht!"

In der Kirche mit der Franz-Kafka-Uhr,
ohne Zeiger, mit Strichen drauf nur,
liest ein Blinder einem Tauben
Struwwelpeter vor
hinter einer dreifach verriegelten Tür.
Und der Wächter mit dem Schlüsselbund hält
sich im Ernst für so was wie ein Genie,
weil er Auswege pulverisiert
und verkauft gegen Klaustrophobie
in der Kristallnacht.

Währenddessen, am Marktplatz vielleicht,
unmaskiert, heute mit dem wahren Gesicht
sammelt Steine, schleift Messer
für die, die schon verraten sind,
probt der Lynch-Mob für das Jüngste Gericht.
Und zum Laden nur flüchtig vertaut
- die Galeeren stehen längst unter Dampf -
wird am Hafen auf Sklaven gewartet,
auf den Schrott aus dem ungleichen Kampf
aus der Kristallnachtr

Da, wo Darwin für alles herhällt,
ob man Menschen vertreibt oder quält,
da, wo hinter Macht das Geld her ist,
wo stark zu sein die Welt ist,
vom Kuschen und Strammstehen entstellt,
Wo man Hymnen auf Kämmen sogar bläst,
in einer barbarischen Gier nach Profit
"Hosianna" und "Kreuzig ihn!" ruft,
wenn man irgendeinen Vorteil drin sieht
ist täglich Kristallnacht.

 

"Etwa hundert Kilometer weiter die Peleponnes runter von dem Campingplatz entfernt, auf dem ich 1979 das 'neuste Testament' geschrieben hatte, lieg ich am schmalen Strand eines winziges Ortes und lese 'Unter dem Milchwald' von D. Thomas. Es dauert eine Weile, bis ich merke, dass sich die Atmosphäre hier mit dem Geschehen des Buchs nach und nach in meiner Phantasie zu einer Einheit verdichtet hat, so dass es mir vorkommt, als würde die gelesene Story hier und heute geschehen.
Unter diesem Eindruck laufe ich dann paar Tage rum, bis ich mich darbei ertappe, dass ich die Rollen des Buchs mit Leuten aus dem Ort besetze. - Das Ganze hier ist für mich zu einer Freilichtbühne mitsamt dazugehörigem Ensemble geworden, zur Kulisse für die gelesene und weitere Geschichten.
So zum Beispiel für mein 'neustes Testament', das ich nach längere Zeit mal wieder spiele, wobei mir wiederum einfällt, dass ich das erste Mal 1972, also noch zur Zeit der Junta, in Griechenland war und zwar mit Schmal und Moetz auf der Rueckreise von einem Türkei-Urlaub, als noch alles mit Phoenix-Symbolen und anderem faschistischem Blut und Boden Propaganda-Zeug vollhing. - So springe ich assoziierend von einem Gedanken zum anderen, was dann darauf hinauslaeuft, dass die friedliche Szenerie hier in meiner Phantasie zum Schauplatz dieser furchtbaren Thematik wird, zum Schauplatz dieses monströsen Happenings, im Verlauf dessen die kanalisierten Spiesser-Instinkte aufs übelste zum Ausdruck gebracht worden sind."
[Wolfgang Niedecken zur Entstehung des Liedes "Kristallnaach"]
 
 
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