Singet und spielet auf nun zum Tanz

Die an dieser Stelle von Celan dargestellte Situation scheint auf wahre Gegebenheiten zurückführbar zu sein. So berichten sowohl Milan Kuna (Musik an der Grenze des Lebens, vgl. Bibliographie) als auch Szymon Laks (Musik in Auschwitz, vgl. Bibliographie) übereinstimmend davon, dass in Konzentrationslagern immer wieder jüdische Musikgruppen zusammengestellt wurden, zumeist auf Betreiben der Lageraufsicht. Aufgabe der Kapellen war zumeist die Beruhigung der Lagerinsassen durch Musik. Oftmals wurden diese Kapellen aber auch aufgefordert, während des Verlaufs von Tötungsaktionen zu spielen. Auf diese Weise glaubte man ebenfalls, eine gewisse Ruhe unter den Gefangenen erzeugen zu können. Von vielen Lageraufsehern wurde dieser psychologisch motivierte Einsatz jedoch ins genaue Gegenteil verkehrt, indem sie die Musiker insbesondere Märsche und fröhliche Weisen spielen ließen, was eine zusätzliche Verhöhnung der Opfer darstellte. Ebenfalls sehr oft gespielt wurden die "alten Meister" (vor allem aufgrund der Ideologisierung die Werke von Bach), womit eine Diskrepanz entstand zwischen der Selbstrepräsentation als Kulturvolk und der Barbarei des Nationalsozialismus.

Mit dem Stichwort "Tanz" wird sicherlich nicht zuletzt auf den Totentanz verwiesen. Beim Totentanz (danse macabre) handelt es sich um die allegorische Darstellung von Menschen verschiedenen Alters und Standes, die mit Toten (in der Regel als Skelett dargestellt) einen Reigen tanzen. Sehr oft wird hier auch der Tod als Spielmann dargestellt, der - zumeist auf einer "Geige" aus Knochen spielend - die Menschen zum Tanz verführt, ein Bild, das später sicherlich Niederschlag in der Legende um den Rattenfänger von Hameln fand. Häufig wurde die bildliche Darstellung durch Versunterschriften ergänzt, die Warnungen vor der Eitelkeit und Vergänglichkeit der irdischen Güter (vanitas) oder Aufforderungen zur Buße beinhalten. Der Totentanz beruhte auf dem Volksglauben, der von den Plagen und Kriegen des 14. und 15. Jahrhunderts genährt wurde, dass Tote als Skelette aus ihren Gräbern steigen und die Lebenden zum Tanz verführen, um sie zu sich zu holen. Der Totentanz bildet die Botschaft von der Unausweichlichkeit des Todes und von der Gleichheit aller Menschen ab.

Der früheste schriftliche Totentanz wurde in der Kirche der Saints Innocents in Paris mit Bildern versehen festgehalten (1424-1425; heute zerstört). 1485 veröffentlichte der Pariser Drucker Guyot Marchant einen Totentanz in Holzschnitten und Versen (1485), der in ganz Europa Verbreitung fand und das Thema zum populären Genre machte. Das Thema Totentanz taucht auch in Chaucers Pardoner's Tale und Lydgates "The Falles of Princes" (um 1430) auf. In den Werken von August Strindberg, Edgar Allan Poe und Charles Baudelaire gibt es Bearbeitungen des Motivs. Auch Johann Wolfgang von Goethe und W. H. Auden thematisierten das Motiv. Der Totentanz wurde im späten Mittelalter und in der Renaissance auf Kirchenwände gemalt und regte eine Folge von 51 Zeichnungen an, die zwischen 1523 und 1535 von Hans Holbein dem Jüngeren in Basel angefertigt wurde (nur in Kopien erhalten). Der älteste erhaltene Totentanz ist in der Kirche von Kermaria in Brittany in Frankreich (um 1540 bis 1560) zu sehen. Im 19. und 20. Jahrhundert verbindet sich die Darstellung des Totentanzes meist mit einer Anklage des Krieges, so in Frans Masereels Holzschnittzyklus "Todestanz" von 1940.

An musikalischen Bearbeitungen sind zu erwähnen Totentanz (1864) von Franz Liszt und das symphonische Gedicht Danse Macabre (1874) des französischen Komponisten Camille Saint-Saëns. György Ligeti komponierte 1974 bis 1977 eine Oper mit dem Titel "Le Grand Macabre".


Alfred Rethel: Der Tod als Erwürger. Erster Auftritt der Cholera
auf einem Maskenball in Paris 1831. Holzschnitt, 1851.
[Graphiksammlung der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf]